Asche auf mein Haupt! Ich habe aus meinem letzten Beitrag noch etwas richtigzustellen. Das Thema Zentraldifferential/Planeten-Verteilergetriebe ging mir letzte Nacht noch mal durch den Kopf (warum immer nachts?!
), da sind mir selbst einige Ungereimtheiten aufgefallen. Also habe ich meine Aufzeichnungen der Antriebselemente-Vorlesung aus dem Studium und ein paar alte Subaru-Prospekte vorgekramt und mich nochmal informiert.
Kurz zur Begriffsdefinition: Planetengetriebe werden auch als Umlaufrädergetriebe bezeichnet und sind dadurch gekennzeichnet, dass sich mindestens ein Zahnrad außer um seine eigene auch um eine andere zentrale Achse dreht. Für ein Differential trifft diese Bezeichnung genaugenommen also nur in einem Fall zu: Die Antriebsräder haben betragsmäßig unterschiedliche Drehzahlen. Die beiden anderen Extremfälle: Bei betrags- und richtungsmäßig gleichen Drehzahlen der Antriebsräder (Geradeausfahrt) arbeitet das Differential nicht als Getriebe, es dreht sich zwar das gesamte System, im System selbst ist aber alles in relativer Ruhe. Der zweite Fall: Bei stillstehendem Antrieb und an den Antriebsrädern aufgebocktem Auto (2WD) kann man ein Antriebsrad drehen, das gegenüberliegende dreht sich mit gleicher Drehzahl in entgegengesetzter Richtung. Dann arbeitet das Differential zwar als Getriebe, aber nicht als Umlaufrädergetriebe, da sich alle Zahnräder nur um ihre eigene Drehachse drehen. Der "Planetenträger", in diesem Fall das Differentialgehäuse, steht still. Insofern besteht erstmal kein Widerspruch zum obigen Beitrag.
Nun ins Detail, und damit muss ich mich für obige Ungereimtheiten entschuldigen: Bei Subaru gibt es als Zentraldifferential verschiedene Systeme: Im Schaltgetriebe sieht das Zentraldifferential vom Aufbau her genauso aus wie die Achsdifferentiale, besitzt also Kegelräder. Beim Automatikgetriebe mit VDC besteht das Verteilergetriebe dagegen aus Stirnrädern, daher sicher auch die abweichende Bezeichnung "Planetenrad-Verteilergetriebe" im offiziellen Subaru-Text, um den Unterschied zum sonst verwendeten Kegelrad-Differential hervorzuheben. Im Prinzip handelt es sich, siehe oben, aber bei beiden um Planetengetriebe.
Nun zur Kraftverteilung. Die bei normalen Stirnradgetrieben auftretende Analogie zwischen Drehzahl- und Momentenverhältnis passt beim Planetengetriebe nicht. Beim Stirnradgetriebe sind beide Übersetzungsverhältnisse durch das Zähnezahlverhältnis der beteiligten Zahnräder gekennzeichnet, das Momentenverhältnis entspricht dem Zähnezahlverhältnis und ist dabei der Reziprokwert des Drehzahlverhältnisses. Beim Planetengetriebe ist das etwas komplizierter.
Kurz zum Aufbau. Ein Planetengetriebe besteht aus einem zentralen Sonnenrad, aus Symmetriegründen in der Praxis mindestens zwei Planetenrädern, die um ihre eigene Drehachse frei drehbar auf dem Planetenträger oder "Steg" gelagert sind, und einem innenverzahnten Hohlrad. Man hat also drei Angriffspunkte: Sonnenrad, Plantenträger (Steg) und Hohlrad. Die Drehzahlen sind variabel. Fest steht hingegen immer das Momentenverhältnis: Die Momente von Sonnen- und Hohlrad verhalten sich wie ihre Zähnezahlen, das größere Hohlrad bekommt also das größere Moment (gleiche Kraft am Zahneingriff, der größere Durchmesser des Hohlrades bewirkt ein größeres Moment). Der Steg bekommt die Summe aus beiden. Beim Verteilergetriebe sitzt der Antrieb am Steg (gleich Gehäuse beim Differential), das Sonnenrad geht zur einen Achse, das Hohlrad zur anderen. Das größte Moment ist also am Antrieb, die beiden Abtriebe erhalten jeweils Teilmomente, die zusammen 100% ergeben. Da das Hohlrad zwangsläufig größer als das Sonnenrad sein muss, bekommt die daran angeschlossene Achse mehr Moment. Bei einer 40/60-Verteilung ist das Hohlrad 1,5 mal so groß wie das Sonnenrad, hat also 1,5 mal so viele Zähne. Die Größe der Planten ist dann so, dass sie dazwischen passen, auf das Momentenverhältnis zwischen Sonnen- und Hohlrad hat das keinen Einfluss.
Das Zentraldifferential der Schaltgetriebe hat Kegelräder, damit können "Sonnen-" und "Hohl-"Rad (die Bezeichnung passt hier nicht ganz
) gleich groß sein, die Kraftverteilung ist, wie in jedem Achsdifferential, 50/50.
Das Kegelrad-Differential hat also eine symmetrische Kraftverteilung (man könnte es theoretisch auch asymmetrisch auslegen), das Planeten-Verteilergetriebe mit parallelen Achsen hat dagegen zwangsläufig eine asymmetrische Kraftverteilung. Vorteil der Kegelradversion ist der geringe Durchmesser und die symmetrische Auslegung (deswegen als Achsdifferential verwendet), Vorteil des "normalen" Planetengetriebes ist die kurze Baulänge, deswegen gut im Automatikgetriebe zu integrieren, wo ohnehin schon mehrere solcher Exemplare hintereinander arbeiten.
Um die Differentialwirkung zu unterbinden (festes Momentenverhältnis beider Abtriebe, das "schwächste Glied", also das durchdrehende Rad, bestimmt die absolute Momentenhöhe), ist dann eine Sperre nötig. Dazu reicht es, die Bewegung innerhalb des Systems zu verhindern. Dazu gibt es drei Möglichkeiten: Entweder man verhindert das Drehen der Planeten, oder man verbindet den Steg mit Sonnen- oder Hohlrad respektive einem Abtrieb beim Kegelrad-Differential, oder man verbindet Sonnen- und Hohlrad respektive beide Abtriebe miteinander. Wenn ich die Schnittzeichnungen im Subaru-Prospekt (bis MJ 1994) richtig deute, macht man sowohl beim Zentraldifferential wie auch beim LS-Hinterachsdifferential letzteres, verbindet also mittels einer Kupplung, entweder einfach mit Visco-Öl gefüllt oder elektronisch über Öldruck gesteuert, beide Abtriebsseiten miteinander. So lange die Antriebsräder die ihnen jeweils zugewiesene Kraft übertragen können, beträgt das Momentenverhältnis im gesperrten Zustand 50/50. Ist bei einem oder mehreren Rädern die Grenze erreicht, übernehmen die anderen automatisch den Rest.
Kurze Frage an die Automatik-Experten: In der Schnittzeichnung des alten AT-Getriebes sehe ich nur ein einziges Bremsband. War das Ursache für all die Probleme?! Ansonsten hatte man ja damals schon eine ganze Menge Lamellenbremsen und -kupplungen drin.
Und noch etwas ist mir beim Prospekt-Studium aufgefallen: Der Handbremshebel im aktuellen Renault Mégane ist gar nicht so neu, wie es immer dargestellt wird. Der im SVX sieht ganz ähnlich aus!
So, ich hoffe, ich habe euch mit meinem kleinen Exkurs in die Funktionsweise von Planetengetrieben nicht überfordert
, sondern weiterhelfen können, und hoffe weiterhin, nicht wieder irgendwas übersehen zu haben. Immerhin war es auch für mich selbst gut, mich mal wieder damit zu beschäftigen.
Viele Grüße
Thomas
Anmerkung: Zitat aus dem "Kraftfahrtechnischen Taschenbuch" von Bosch, 24. Auflage 2002, S. 669: "Lösungen mit Visco-Kupplung oder elektronisch geregelter Lamellenkupplung anstelle der zentralen Allrad-Verteilerdifferenziale werden ebenfalls dem permanenten Allradantrieb zugeordnet." Da es dieses Standardwerk nun mal so vorsieht, kann man sich also nicht darüber beschweren, dass auch diese einfachen Systeme als "permanent" propagiert werden. Als Kunde hat man von dieser namentlichen Gleichmacherei aber nicht viel.
geändert von: TBR on 26/10/2005 14:12:59