Dass das Problem nur bei steilem Gefälle auftritt, ist schon klar. Dann wirkt ein Großteil des Fahrzeuggewichtes als "Hangabtriebskraft" (siehe Physikunterricht), die natürlich zusätzlich durch eine höhere Bremskraft ausgeglichen werden muss. Die Reifenhaftung reicht aber nur aus, das Fahrzeug im leichten Gefälle oder in der Ebene zum Stehen zu bringen. Bei einem bestimmten Gefälle kann sie nur noch die Hangabtriebskraft kompensieren, das Auto wird nicht mehr langsamer, das entspricht etwa dem Festhalten des schon stehenden Autos. Ist die Abfahrt noch steiler, wird das Auto trotz Vollbremsung noch schneller. Ein stehendes Auto würde losrutschen (natürlich nur theoretisch, denn man brächte es ja gar nicht erst zum Stillstand), die stehenden (=blockierenden) Räder würden sich dann aber wieder eingraben.
Du kannst es Dir so v o r s t e l l e n, Du würdest Dein Auto auf einer Straße mit nicht zu sehr festgefahrener Schneedecke abstellen. Dann "kippt" jemand die Straße an (theoretisch!), gerade so weit, dass das Auto ins Rutschen gerät (Handbremse angezogen, Gang eingelegt -> Räder rollen nicht!). Nach kurzer Zeit würde das Auto wieder stehen, da sich die Räder festgraben. Genau bei diesem Gefälle könntest Du mit einem ABS-gebremsten Fahrzeug gerade noch die Geschwindigkeit halten, da die Haftungreibungskraft der rollenden Räder gerade der Hangabtriebskraft entspricht, eine Verzögerungs-(=Brems-)kraft könnte nicht aufgebaut werden. Die würde erst beim Eingraben entstehen (wie bei einem Schiffsanker), was aber eben durch das ABS verhindert wird.
Das ABS ist jedoch nicht dazu gebaut, den Bremsweg zu verkürzen, sondern auf befestigter Straße (Asphalt, Pflaster...), auf der sich die Räder natürlich nicht eingraben, bei einer Vollbremsung die Lenkfähigkeit und damit die Kontrollierbarkeit des Fahrzeuges zu gewährleisten (in einer Kurve rutscht man nicht unkontrolliert in den nächsten Baum oder einen Abhang hinunter). Denn ein blockierendes Rad kann keine "Seitenführungskraft" aufnehmen, die für Kurvenfahrt nötig ist. Auch sichert das ABS die Spustabilität, wenn die Straße links und rechts unterschiedlich griffig ist (z. B. nasses Laub am Straßenrand).
Diese ganzen Vorteile erkauft man sich mit dem Nachteil eines längeren (im Extremfall leider unendlich langen) Bremsweges auf losem Untergrund. Da aber ein PKW (und auch ein echter Geländewagen) vorwiegend auf befestigten Straßen unterwegs ist, wählt man natürlich das weitaus kleinere Übel. Für spezielle Einsatzfälle, wie eben die Fahrt auf Schotter, Sand, Schlamm u. ä., muss man das ABS eben deaktivieren. Dass das nicht serienmäßig geht (gesetzlich meines Wissens auch nicht gehen darf), liegt daran, dass der Gesetzgeber dem Autofahrer kein technisches Verständnis zutraut, zu entscheiden, wo ABS sinnvoll ist und wo nicht. Ähnlich wird es wohl dem ESP irgendwann gehen, welches ja bei vielen Autos ebenfalls noch abschaltbar ist.
Ich hoffe, ich habe Dich nicht mit zuviel Physik erschlagen, aber das gehört eben nun mal dazu. Gerade das Fahrverhalten eines Autos ist Physik in Reinkultur, da es nur um irgendwelche Kräfte geht, die irgendwo in irgendeiner Richtung wirken. Am Ende läuft es darauf hinaus, dass ein Reifen auf einer handtellergroßen Fläche nur eine je nach Fahrbahnbeschaffenheit mehr oder weniger große Reibkraft übertragen kann, welche möglichst geschickt auf Längsrichtung (Beschleunigen, Bremsen) und Querrichtung (Kurvenfahrt, Spurhalten) verteilt werden muss. Ist der Grenzbereich schon durch eine der Komponenten erreicht bzw. überschritten, bleibt für die andere nichts übrig.
Jetzt aber Schluß, wenn Du noch Fragen hast, dann schreib einfach noch mal. Der Platz hier im Forum ist ja (noch) nicht begrenzt.
Tschüß
TBR