Ich lege den Aufsatz von Giger mal hier ab. Interessante Argumentation, falls sie mal jemand (bzw. sein Anwalt) vor Gericht gebrauchen kann. Ob man damit auch durchkommt, ist eine andere Frage...
Zulässigkeit von Radarwarngeräten in der Schweiz
von Prof. Dr. iur. et Dr. phil. I Hans Giger
Der Gesetzgeber untersagt in Art. 57b Abs. 1 SVG die Verwendung von «Radarwarngeräten» in irgendeiner Form. Der Markt vertreibt nun aber moderne Varianten, die in ihrer Funktionsweise mit den früheren Apparaten nicht vergleichbar sind: Sie erschweren die behördliche Kontrolle nicht mehr, indem sie diese weder «stören», noch «unwirksam machen». Vielmehr verfügen sie nur über gespeicherte Daten der Standorte von lagebedingt wichtigen Fixpunkten. Es sind m.a.W. Autonavigations- und Informationssysteme. Im Übrigen peilen sie das gleiche Ziel wie die polizeilichen Intentionen an: Sie dienen durch die Vorwarnung der Verkehrssicherheit. In diesem Zusammenhang muss auch das Verbot des Selbstbelastungszwangs Berücksichtigung finden.
I. Anwendungsbereich von Art. 57b SVG
1. Normative Ausgangslage
[Rz 1] Gemäss Art. 57b Abs. 1 SVG dürfen Geräte und Vorrichtungen, welche die behördliche Kontrolle des Strassenverkehrs erschweren, stören oder unwirksam machen können, weder in Verkehr gebracht oder erworben, noch in Fahrzeuge eingebaut, darin mitgeführt, an ihnen befestigt oder in irgendeiner Form verwendet werden. Als Beispiel für solche Geräte nennt die zitierte Bestimmung «Radarwarngeräte». Es fragt sich, ob die heute üblichen modernen Radarwarnapparate als «Geräte und Vorrichtungen» im Sinne der oberwähnten Vorschrift zu betrachten sind.
2. Funktionsunterschiede
[Rz 2] Moderne Radarwarngeräte unterscheiden sich in ihrer Funktionsweise erheblich von den früher verwendeten Warnapparaten: Sie detektieren nicht mehr wie diese die Radarstrahlen, die von den polizeilichen Radarkontrollanlagen ausgesendet werden, sondern verfügen über gespeicherte Daten der Standorte von Radarkontrollgeräten und geben dem Fahrer einen Hinweis, sobald sein Fahrzeug sich einem dieser Standorte nähert. Um zu wissen, wo sich das Fahrzeug, in welchem sie eingebaut sind, befindet, bedienen sie sich des GPS-Systems. Die modernen Radarwarnapparate sind also nichts anderes als Autonavigationsgeräte, in welchem ausser den Lageorten von Strassen, Hotels, Bahnhöfen und dergleichen auch noch die Standorte von Radarkontrollgeräten gespeichert sind. Zusätzlich werden auf Grund von Hinweisen durch Autofahrer die Aufenthaltsorte der mobilen Radarkontrollanlagen per Funk an das Warngerät übermittelt, welches die erhaltene Information ebenfalls speichert. Es findet also lediglich ein Vergleich statt zwischen der Position des Fahrzeugs und den Koordinaten, die den einzelnen gespeicherten Daten zugeordnet sind. Bei Übereinstimmung erfolgt ein entsprechendes Signal. Mit anderen Worten: Für das Gerät besteht kein Unterschied, ob an einem bestimmten Ort, den es gespeichert hat, ein Hotel, ein Bahnhof oder eine Radarkontrollanlage steht. Folglich sind die neuen Apparate gar keine Warngeräte, sondern nur Navigationshilfen.
[Rz 3] Überdies ist auch nicht ersichtlich, warum solche Ortungsvorrichtungen die Kontrolle des Strassenverkehrs «stören, erschweren oder unwirksam machen» könnten. Vielmehr muss man davon ausgehen, dass die Funktionsfähigkeit der Radarkontrollanlagen durch keinerlei Manipulationen wie etwa die Einwirkung von Strahlen, beeinflusst wird. Ortungsvorrichtungen und Radarkontrollanlagen sind vielmehr voneinander völlig getrennte und unabhängige Apparate, die unterschiedlichen Zwecken dienen: Die Ortungsgeräte dienen technisch ausschliesslich der Informierung seines Inhabers, die Radarkontrollanlagen erfüllen im Dienste der Verkehrssicherheit grundsätzlich der Geschwindigkeitsfeststellung vorbeifahrender Fahrzeuge und dies erstrangig in Form der Warnung und Abschreckung vor Geschwindigkeitsexzessen.
II. Normanalyse
1.Normative Ausgangslage
[Rz 4] Der Zweck von Art. 57b SVG besteht darin, Störungen und Erschwerungen der behördlichen Kontrollen des Strassenverkehrs zu verhindern. Mit «behördlichen Kontrollen des Strassenverkehrs» meint der Gesetzgeber in erster Linie Kontrollen der Polizei mit Hilfe von Radarmessungen. Gemäss bundesgerichtlicher Praxis bezwecken nahezu alle Radarmessungen, Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu erfassen. Sinn und Zweck solcher Kontrollen darf es aber – wie das Bundesgericht selbst ausführt – nicht sein, dem Fiskus Erträge zu sichern, indem möglichst viele Verkehrsteilnehmer durch Zahlung von Bussen dazu beitragen. Vielmehr besteht nach höchstinstanzlicher Auffassung die ratio legis im Ziel, eine wirksame und umfassende Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu bewirken. Die Vorschriften über die Höchstgeschwindigkeiten dienen ihrerseits wie alle übrigen Verkehrsvorschriften der Verkehrssicherheit. Daraus folgt, dass alles, was zur Erhaltung der Verkehrsvorschriften beiträgt, nicht unzulässig sein kann. Das Bundesgericht hat im erwähnten Entscheid ausgeführt, eine Hinderung von Amtshandlungen nach Art. 286 StGB liege nicht vor, wenn jemand einen Verkehrsteilnehmer auf eine Radarkontrolle aufmerksam mache, da diese Handlung denselben Zweck wie die Radarkontrolle verfolge, nämlich dadurch eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu verhindern. Daraus folgt, dass die Warnung vor einer Radarkontrolle zur Einhaltung der Geschwindigkeitsvorschriften veranlasst und damit nicht dem Zweck des Art. 57b SVG zuwiderlaufen kann, der ja mittelbar durch Schutz von Verkehrskontrollen geradezu in der Einhaltung der Geschwindigkeitsnormen besteht.
2. Widersprüchliche Zielsetzung
[Rz 5] Ausserdem schafft der Staat als Gesetzgeber durch das Verbot von Radarwarnapparaten unverständliche Widersprüchlichkeiten, wenn er als Inhaber der Staatsgewalt veranlasst oder duldet, dass die Polizei selbst – wie dem erwähnten Bundesgerichtsentscheid zu entnehmen ist – Radarkabinen gut sichtbar aufstellt und vielerorts selbst mit Tafeln sowie durch Radio- und Pressemitteilungen vor Feiertagen die Verkehrsteilnehmer auf bevorstehende Radarkontrollen aufmerksam macht.
[Rz 6] Zusammenfassend lässt sich deshalb davon ausgehen, dass Art. 57b SVG in seiner derzeitigen Fassung nur Verwirrung stiftet, Widersprüchlichkeiten sowie Ungerechtigkeiten schafft sowie in der praktischen Auswirkung Ungleichheiten favorisiert.
III. Verstoss gegen das bundes- und völkerrechtliche Verbot des Selbstbelastungszwangs
1. Grundsatz
[Rz 7] Das Verbot des Selbstbelastungszwangs gilt als Grundsatz des Strafprozessrechts, der allgemein anerkannt ist. Letzterer wird von der Rechtsprechung des Bundesgerichts wie des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte7 aus Art. 32 Abs. 1 BV wie Art. 6 Ziff. 1 und 2 EMRK abgeleitet und ausdrücklich in Art. 14 Ziff. 3 lit. g des UNO-Paktes über bürgerliche und politische Rechte festgehalten. Folglich kommt ihm verfassungsmässiger und völkerrechtlicher Rang zu. Er besagt, dass niemand verpflichtet ist, sich selbst anzuzeigen, sich selbst im Rahmen eines Strafverfahrens zu belasten oder für schuldig zu bekennen. Der in einem Strafverfahren Beschuldigte hat somit das Recht, nicht zu seiner eigenen Verurteilung beitragen zu müssen. Das bedeutet insbesondere, dass er die Aussage verweigern darf. Ferner kann er sich etwa auch weigern, in einem Steuerhinterziehungsverfahren Belege über hinterzogene Beiträge vorzulegen. Das Recht des Angeklagten, nicht zu seiner eigenen Verurteilung beitragen zu müssen, erstreckt sich aber nicht auf die Verwertung von Tatsachen, die unabhängig von seinem Willen existieren, wie etwa Atemluft-, Blut- und Urinproben, ferner Gewebeproben zum Zweck einer DNA-Untersuchung.
2. Anwendung im Strassenverkehrsrecht
[Rz 8] Auf Art. 57b Abs. 1 SVG übertragen bedeutet das Verbot des Selbstbelastungszwangs, dass ein Radarwarngerät für den Fahrer als Hilfsmittel gilt, um eine strafbare Handlung, nämlich die Verletzung der Geschwindigkeitsvorschriften, zu vermeiden. Das Warngerät dient also nicht dazu, die Aufdeckung einer Straftat zu erschweren wie das etwa auf den oberwähnten Fall des Steuerhinterziehers zutrifft, der die Herausgabe der Belege über die hinterzogenen Beiträge verweigern darf. Da das Verbot des Selbstbelastungszwangs für den Straftäter einem Hilfsmittel gleichkommt, dessen er sich bedienen kann, um die Aufdeckung der Straftat zu erschweren, muss der «Nichtstraftäter» im Sinne eines Erst-recht-Schlusses das Recht haben, sich eines Hilfsmittels zu bedienen, das eine Straftat verhindert.
Quelle: Jusletter vom 28.7.2008