Ist der Hyundai Ioniq 5 N der legitime Nachfolger der Rallyikonen Lancia Delta Integrale, Subaru Impreza STI oder Mitsubishi Lancer EVO?
Seit 2016 ist Hyundai in der Rallyweltmeisterschaft sehr erfolgreich. Bei der Herstellerwertung ist Hyundai immer entweder auf dem 1. oder 2. Platz. Reicht das aus, um auf der Basis eines Elektrofahrzeuges ein Rallyauto zu bauen?
Elektroauto und Emotionen? Geht das?
2018 war ich am Formel E Rennen in Zürich. Die Fahrzeuge sahen ansprechend aus, fast wie Formel 1 Fahrzeuge. Aber bei dem Gesurre kam keinerlei Motorsportfeeling auf.
Zuerst zu den nackten Zahlen des Hyundai Ioniq 5 N (N steht für "Nürburgring"): Leistung: 600 PS (kurzzeitig 650 PS für 10 Sek.), Drehmoment bis zu 770 Nm, 0 - 100 km/h in 3.4 Sek., Gewicht: 2.275 kg, Länge: 4.71m, Breite: 1.94m
Von weitem sieht er von der Seite aus, wie die früher bekannten Kompaktwagen eines Ford Focus RS. Von Nahem wird dann aber schnell klar, dass der Ioniq 5 N deutlich länger und vor allem breiter ist.
Der erste Eindruck bei der Sitzprobe ist positiv. Die Schalensitze gewähren einen sehr guten Seitenhalt. Das Cockpit ist ansprechend. Die Schalter sind da, wo sie sein sollten. Ja, es gibt sie noch und sogar einen Blinkerhebel. Ein gewaltiges Plus im Gegensatz zu Tesla.
Was als Erstes interessiert sind die Soundmodi: Ignition, Evolution und Supersonic heissen sie vielversprechend. Denn der Sound ist in erster Linie der grosse Unterschied zu den ansonsten bekannten sportlichen Elektrofahrzeugen. Wobei, für den Petrolhead ist nur der motorsportliche Sound "Ignition" akzeptabel. Die beiden anderen Modi sind zu spacig und passen nicht zu diesem sportlichen Elektrofahrzeug. Und tatsächlich lässt der "Ignition"-Sound beim Fahren Emotionen aufkommen. Es werden sogar Gangschaltungen simuliert wie bei einem Verbrennersportwagen. Mit dem Schaltpaddle kann man die Gänge durchschalten (simuliertes 8-Gangdoppelkupplungsgetriebe). Die Drehzahlnadel steigt in jedem Gang hoch bis in den roten Bereich. Wenn man vom Gas- (Strom-) Pedal geht, bollert er aus dem Auspuff wie ein Sportwagen. Man spürt auch jeden "Gangwechsel". Schaltet man mit dem Paddel einen Gang runter, spürt man die höhere "Motorbremse", das heisst, die Rekuperation wird automatisch erhöht. Und im e-shift-Programm kann man sogar in den Drehzahlbegrenzer fahren. Das tönt auch wirklich so. Das ist unglaublich. Verbunden mit dem ansprechenden Fahrverhalten im Trackmodus kommt doch tatsächlich Spass auf. Aber natürlich ist dies alles simuliert. Der Ioniq 5 N ist und bleibt ein 1-Gang-Elektrofahrzeug. Gleitet man so dahin, kann das Geräusch der simulierten hohen Drehzahl schnell nervig werden. Aber dafür gibt es eine einfach Abhilfe: den Soundgenerator einfach ausschalten.
Die Drehmomentsverteilung von Vorder- zur Hinterachse in 11 Stufen ist interessant, das heisst man kann die Kraft von 0 bis 100% auf die Vorder- oder je nach Wahl auf die Hinterachse verteilen. Zudem kann man (auf abgesperrten Strecken) einen Driftmodus verwenden, was ich natürlich nicht ausprobiert habe. Die Lenkung ist direkt, kommt aber bei weitem nicht an einen Porsche Taycan heran. Das Kurvenverhalten ist gut, aber trotz tiefem Schwerpunkt der Batterie fühlt sich der Ioniq 5 N "hochbeinig" an. Und dann ist ja da noch das Gewicht von 2.2 t, das nicht gerade förderlich ist, um zügig durch die Kurven zirkulieren zu können. Aber im Vergleich zu anderen Elektrofahrzeugen, die genau gleich viel wiegen, wie ein Porsche Taycan oder ein Tesla Model S, macht der Ioniq 5 N in den Kurven schon Spass. Aber so agil wie ein Tesla 3 Performance ist er nicht, wiegt doch der Tesla 3 rund 400 kg weniger. Über die Beschleunigung auf der Geraden müssen wir gar nicht reden. Mit 3.4 Sek. von 0 - 100 km/h schafft er das mit Bravour. Durch den Vierradantrieb bringt er die Kraft jederzeit auf den Boden.
Optisch versprechen die 400mm-Bremsscheiben an der Vorderachse viel. In der Praxis enttäuschen sie aber. Die Bremse fühlt sich sehr schwammig an. Einen eigentlichen Druckpunkt sucht man vergeblich. Eigentlich schade. Das ist für mich persönlich der einzige Punkt, den man beim Ioniq 5 N nachbessern müsste.
Ach ja, und für die wirklichen Fans von Elektrofahrzeugen: Reichweite nach WLTP: 448 km. Die Batterie hat eine Kapazität von 84 kWh und lädt mit bis zu 350 kW, das heisst von 10% auf 80% in 18 Min. Heutzutage ein sehr guter Wert. Die Assistenzsysteme im Ioniq 5 N funktionieren tadellos. Will man allerdings den adaptiven Tempomaten mit dem Daumen um Zehnerschritte erhöhen oder senken, so erinnern die Gedenksekunden an die ersten Turbomotoren. Das können andere Hersteller deutlich besser. Ein grosses Plus im Ioniq 5 N ist hingegen die sehr grosse Beinfreiheit auf der Rückbank. Und die integrierte Sitzheizung auf der Rückbank findet man sonst eher selten. Praktisch ist auch der grosse Kofferraum. Mit anderen Worten kann der Ioniq 5 N auch als ganz normales Familienauto bewegt werden.
Fazit: Von allen Elektrofahrzeugen, die ich in den letzten Jahren fahren durfte hat der Ioniq 5 N am meisten "Motorsportgene". Den Sound haben die Hyundai-Leute richtig gut hinbekommen. Für das Paket, das man bei Hyundai bekommt, stimmt das Preis-Leistungs-Verhältnis absolut. Da ist ein Verbrenner mit 3.4 Sek. von 0 auf 100 km/h auch nicht günstiger. Von den originalen Rallyikonen ist er aber immer noch meilenweit entfernt. Den Sound des Boxermotors eines Subaru Impreza STI simulieren zu wollen, wird wohl unerreichbar bleiben. Und es bleibt als grosser Nachteil das Gewicht: 1200 bis 1400 kg bei den alten Rallyikonen gegenüber 2'275 kg beim Ioniq 5 N. Da nützen alle technischen Hilfsmittel nichts. Gewicht ist Gewicht und Physik ist Physik. Spass hat der Ioniq 5 N trotzdem gemacht. Das heisst, er kann einerseits als Sportauto, andererseits auch als ganz normales Elektrofamilienauto gefahren werden. Irgendwie spannend.